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Das Watt in Schwarz/Weiß

Als sich die Bustür im Stadtteil Duhnen von Cuxhaven öffnet, steigt mir sofort die frische belebte salzige Brise in die Nase; und erfüllt wochenlange Vorfreude: Das Wattenmeer! Noch versperrt der Deich den ersehnten Ausblick. Nur ein paar Meter noch auf den „Deichgipfel“ und jede alltägliche Begrenzung fällen ab. Es öffnet sich die Sicht auf das weite Watt. Mein Blick schlendert über weite braun-graue Schlick-Flächen mit kleinen und großen Pfützen, die im nachmittäglichen Gegenlicht silbrig glänzen; stoppt kurz am zu einem einzigen geraden Strich zusammengezogenen Horizont und kehrt dann langsam über den von Wolken und Sonnenstrahlen bevölkerten Himmel wieder zu meinem Ausgangspunkt zurück...

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Nüchtern betrachtet handelt es sich bei dem Watt um einen schlammig-schlickigen Meeresboden, der alle paar Stunden mit braun-grauem Meerwasser zuläuft, dass nur wenig zum Baden einlädt, falls es das launisch-wechselhafte Wetter überhaupt zulässt. Dennoch finden seit 200 Jahren stetig Besucher aus ganz Deutschland hierher (aktuell 3,6 Millionen Übernachtungen pro Jahr). Was macht die Anziehungskraft des Wattenmeers aus? ... Die Empfindung von tiefer Ruhe und erfrischender Weite. Zwei Gegensätze, die sich durch die Reduktion auf wenige aber elementare Elemente von Meeresboden, Horizont und Wolken in der Watt-Landschaft zu einem Gesamtbild runden. Zwei Empfindungen, denen wir im Alltag nicht mehr so leicht begegnen und die die ausgesprochen erholsame Atmosphäre prägen.

 

Ruhe und Weite sollten nun auch meine Fotografien des Watt ausdrücken. Die raue und auf das wichtigste reduzierte Bildsprache der groben Körnung der analogen Schwarz-Weiß Fotografie scheint mir dazu wie gemacht zu sein. Wird ein Schwarz-Weiß Film bei der Aufnahme um 2 oder mehr Stufen unterbelichtet, muss er bei der Negativentwicklung um die gleichen Stufen länger entwickelt werden. Dabei intensiviert sich das Filmkorn und schafft einen typisch körnigen atmosphärischen Effekt, der aber auch mit Detailverlust und geringerer Schärfe einhergeht. Um mit digitalen Kameras ein ähnliches Ergebnis zu erzielen, muss die ISO-Empfindlichkeit so weit erhöht werden, bis durch das steigende Rauschverhalten des Sensors ebenfalls „Rausch-Korn“ auftritt. Wird das Bild nun in ein Schwarz-Weiß Bild konvertiert, verwandeln sich die meist unansehnlichen Rauschsignale in eine wunderbare grobe raue Körnung. Unruhige Details werden vom Korn verschluckt. Weite entfaltet sich, weil der Blick auf die wesentlichen Formen und Strukturen gelenkt wird. Gleichzeitig entsteht durch die vom Korn aufgerauten Flächen eine Tiefenwirkung. Die glatte Oberfläche der Watt-Realität öffnet sich und gewährt Einblick in den ureigenen poetischen Charakter der Wattlandschaft.

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